22.05.2024
Gegen das Vergessen – für ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg
Ende Februar 2024 wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung die vom Bundesinnenministerium beauftrage Machbarkeitsstudie für die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) veröffentlicht. Am 25. April 2024 wurde von der Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros, Martina Mittenhuber die Machbarkeitsstudie Vertreter*innen verschiedener Instutitionen und der Zivilgesellschaft vorgestellt.
In der Studie wird Nürnberg als ein Ort für ein Dokumentationszentrum genannt. Nachdem es bereits positive Positionierungen seitens der Stadt und anderer Organisation gab, wurde nun am 22. Mai 2024 ein kurzes Statement aus der Zivilgesellschaft veröffentlicht, das sich klar für ein Dokuzentrum in Nürnberg einsetzt.
Gegen das Vergessen – für ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg
Seit vielen Jahren setzen in Nürnberg viele Gruppen/Organisationen der Zivilgesellschaft wichtige Akzente zum Gedenken an die Opfer des NSU und die Aufarbeitung des NSU-Komplexes. So gibt es u. a. Gedenkveranstaltungen an den Todestagen der drei Mordopfer und am Ort des Sprengstoffanschlags, Veranstaltungen zu den Hintergründen mit Beteiligung von Angehörigen der Opfer oder Opferanwälten und seit dem Jahr 2015 findet alljährlich das Straßenfest gegen Rassismus und Diskriminierung statt.
Da Nürnberg mit drei Morden und einem Bombenanschlag innerhalb der NSU-Mordserie eine unrühmliche Spitzenposition einnimmt, gab es aus dem Kreis der Zivilgesellschaft schon vor Jahren weitere Forderungen u. a. nach Gedenkorten mit Tafeln für die drei Mordopfer, die es inzwischen in Form zweier Plätze und eines Parks gibt.
Nicht zu vergessen ist eine unserer wichtigsten Forderungen im Zusammenhang mit dem NSUKomplex. Bis heute ist der Komplex als Ganzes nicht vollumfänglich aufgeklärt, die Rolle der staatlichen Institutionen ebenso nicht. Deshalb ist jeder Schritt, der die Opfer des NSU in Erinnerung hält und sich kritisch mit der Aufarbeitung und der Vorgehensweise der Behörden beschäftigt, zu begrüßen. Ein NSU-Dokumentationszentrum kann durchaus so ein Schritt sein, damit sich auch weiterhin große Teile der Bevölkerung und auch z. B. Schulklassen noch eindringlicher mit dem Fall beschäftigten.
Natürlich bietet sich Nürnberg, als Ort, an dem vier Verbrechen passiert sind, als so ein Ort an. Mit der Anklage gegen Susann E. sehen wir das der Komplex juristisch nicht aufgearbeitet ist. Mit den Enthüllungen um die AfD und dem deutlichen Rechtsruck in der Gesellschaft, sehen wir auch, dass gesellschaftlich noch viel zu tun ist. Erinnerungsarbeit kann, wenn sie kritisch ist, ihren Beitrag dazu leisten, wird aber keinesfalls die Forderung nach weiterer Aufklärung ersetzen.
Wir, die folgenden Organisationen und Einzelpersonen, möchten die Stadt Nürnberg und den Freistaat Bayern hiermit dazu auffordern, dass sie sich für eine Errichtung des NSUDokumentationszentrums in Nürnberg einsetzt. Die bereits vorhandenen Bemühungen der Stadt Nürnberg um die Errichtung des Dokumentationszentrums in unserer Stadt unterstützen wir.
13 Organisation bzw. Privatpersonen haben das obige Papier gezeichnet.
Abdurrahim-Özüdoğru-Park
In der Stadtratssitzung am 26. April 2023 stand ein Antrag mit dem etwas sperrigen Betreff „Benennung der Grünanlage südlich der Sperberstraße zwischen Burgundenstraße und Huldstraße nach dem Nürnberger NSU-Opfer Abdurrahim Özüdogru“ auf der Tagesordnung. Es wurde vorgeschlagen, die Grünanlage südlich der Sperberstraße zwischen Burgundenstraße und Huldstraße als „Abdurrahim-Özüdoğru-Park“ zu benennen.
Vom Oberbürgermeister wurde die Sitzungsvorlage erläutert. Dann wurde ohne Wortmeldungen und Diskussion über den Antrag abgestimmt. Bei zwei Nein-Stimmen der AfD wurde der Antrag wie vorgeschlagen angenommen.
Am Todestag, dem 13. Juni 2023, erfolgte die Einweihung des Abdurrahim-Özüdoğru-Parks. Damit gibt es auch für den letzten der drei ermordeten NSU-Opfer in Nürnberg einen Erinnerungsort.
In Erinnerung an Abdurrahim Özüdoğru, Mordopfer der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“, wurde die Grünanlage südlich der Sperberstraße zwischen Burgundenstraße und Huldstraße unweit des damaligen Tatorts in Abdurrahim-Özüdoğru-Park benannt.
Oberbürgermeister Marcus König hat gemeinsam mit Wirtschaftsreferent Dr. Michael Fraas, dem Generalkonsul der Republik Türkei, Serdar Deniz und Elisabeth Ries, Referentin für Jugend, Familie und Soziales am 13. Juni 2023 das Straßenschild enthüllt.
Nach der Enthüllung gab es noch einen kurzen Termin vor der ehemaligen Schneiderei, an dem vom OB ein Blumenstrauß niedergelegt wurde. Währenddessen wurde das Schild mit der Benennung des Parks noch einmal umplatziert.
„Wir werden nicht aufhören zu fragen“ – Nürnberg und der NSU
Dies ist der Titel eines Films der Medienwerkstatt Franken e.V., der im Dezember 2022 veröffentlicht wurde und in der Mediathek der Medienwerkstatt und auf YouTube zu sehen ist. Hier der Begleittext von YouTube:
Nürnberg und der NSU – eine besondere Verbindung: Hier wurden zwischen 2000 und 2005 drei Menschen von Rechtsterroristen ermordet, so viele, wie an keinem anderen Ort. Ihre Namen waren: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar. Bis heute gibt es keine lückenlose Aufklärung der Hintergründe in Franken: Wie wurden die Opfer ausgewählt? Wer zählt zum lokalen UnterstützerInnenkreis? Und: Wer warf das Bekennervideo in den Briefkasten der Nürnberger Nachrichten?
In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse gegründet, die zum NSU-Komplex arbeiten, das Gedenken fördern und gegen Rassismus kämpfen.
Einige von ihnen stellen wir in diesem Film vor: Sie organisieren Straßenfeste, schaffen Begegnungsorte für Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, bieten Theaterworkshops an, um Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung zusammenzubringen und betonen immer wieder: “Wir werden nicht aufhören zu fragen”.
In dem Film kommt als Beispiel auch unser Straßenfest gegen Rassismus (ab Minute 15.00) vor. Hier der Link zum Film.
İsmail-Yaşar-Platz wurde eingeweiht
In Nürnberg hat der NSU vier Verbrechen begangen, drei Morde und einen Sprengstoffanschlag auf eine Kneipe, bei der der Besitzer stark verletzt wurde. Nach einem der Mordopfer, Enver Simşek, wurde letztes Jahr der Enver-Şimşek-Platz an dem Ort, wo er ermordet wurde, benannt. Am 2. Juni 2022 wurde nun auch der İsmail-Yaşar-Platz eingeweiht. Beteiligt bei der Einweihung war neben der Stadt auch die umliegende Scharrerschule und das Jugendzentrum LUISE, beide machen bereits seit vielen Jahren eine aktive Erinnerungsarbeit an Yaşar im Stadtteil. Die Yaşars waren im Stadtteil, in dem der Platz benannt wurde, fest verankert. Kerem Yaşar, İsmails Sohn, besuchte früher die Scharrerschule. İsmails Dönerimbiss war direkt gegenüber, hier wurde er schließlich auch ermordet. Bei der Einweihung waren auch Yaşars Sohn und Tochter, sowie Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des NSU, anwesend. Das Demokratiebündnis Zwickau hatte einen Walnussbaum gestiftet. Dass beide Plätze innerhalb von kurzer Zeit – nach vielen Jahren, wo die Stadt es nicht einmal für nötig hielt Gedenktafeln an den Tatorten aufzustellen – benannt wurden, ist auch auf den Druck von unten zurückzuführen. Denn vor 2 Jahren hatte sich, mit Einladung des Straßenfest-Bündnisses, eine Initiative von verschiedenen Gruppen, die Gedenkarbeit machen, gebildet, die Forderungen an die Stadt bezüglich des Gedenkens gestellt haben. Diese wurden auch über Anträge in den Stadtrat eingebracht. Auch wenn die Forderungen des Bündnisses weitergehender waren, ist deutlich, dass der dadurch entstandene Druck dafür gesorgt hat, endlich mal etwas in dieser Hinsicht zu machen.
Gedenken 2021
Auch im Jahr 2021 gab es gerade im Juni wieder mehrere Gedenkveranstaltungen.
Oben die Einladung dazu. Es waren Veranstaltungen vom Bündnis des Straßenfestes und Schweigen Durchbrechen. Zusätzlich fand am 13. Juni noch eine Veranstaltung statt, die eine Kooperation der Stadt Nürnberg mit der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg ist (13. Juni um 18 Uhr am Tatort Gyulaer Straße/ Ecke Siemensstraße).
İsmail Yaşar – Gedenken am 9. Juni 2021
Abdurrahim Özüdoğru – Gedenken am 13. Juni 2021
Zur Gedenkveranstaltung am 13. Juni um 13.00 Uhr gab es im Bayerischen Rundfunk diesen Beitrag.
Aktueller Stand
Forderungen zum Gedenken an die NSU-Opfer in Nürnberg werden in den Stadtrat getragen.
Im September 2020, pünktlich zum 20. Todestag von Enver Şimşek, dem 1. Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), veröffentlichten 26 Organisationen, Jugendverbände und Parteien eine gemeinsame Erklärung mit Forderungen zum Gedenken an die Opfer des NSU an die Stadt Nürnberg. Nachdem das „Straßenfest gegen Rassismus und Diskriminierung – für ein besseres Zusammenleben“ ab 2021 seinen Platz im Haushalt der Stadt Nürnberg gefunden hat, wurde im November 2020 auch ein fraktionsübergreifender Antrag von der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE mit der Forderung nach der Errichtung der Gedenktafeln an den Tatorten, sowie die Prüfung von Orten (Straßen, Plätze), die für eine Umbennenung in Frage kommen, eingereicht. Die an der Erklärung und am Straßenfest beteiligten Organisationen setzen sich weiterhin für ein sichtbares Gedenken an die Opfer des NSU ein.
Forderungen
Seit 2015 findet das Straßenfest am Aufseßplatz statt. Der Titel des Straßenfestes spricht für sich und ist eine klare Positionierung: „Gegen Rassismus und Diskriminierung – Für ein besseres Zusammenleben“. Dieses Fest wird getragen von einem breiten Bündnis unterschiedlicher Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und Organisationen. Insgesamt sind es etwa 60 Gruppen, die sich in irgendeiner Form beteiligen oder beteiligt haben. Die Schirmherrschaft des Festes übernahm in den Jahren 2015 bis 2019 der damalige OBM Dr. Ulrich Maly.
Die Notwendigkeit für das Straßenfest ist die Erinnerung an die Opfer des NSU, die Forderung nach Aufklärung des Komplexes um den NSU und das gemeinsame Engagement gegen Rassismus. Nürnberg nimmt mit drei Morden und einem Bombenanschlag innerhalb der NSU-Mordserie eine unrühmliche Spitzenposition ein. Um den drei Mordopfern – Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar – und dem Betroffenen des Bombenanschlags Mehmet O. zu gedenken, sollte neben reinen Gedenkveranstaltungen an den jeweiligen Orten eine weitere Form des Erinnerns, aber auch des Mahnens und des Informierens gefunden werden. Daraus ist das Straßenfest entstanden, welches seit seinem Bestehen immer im Juni stattfindet, im Umfeld der Todestage der beiden letzten Nürnberger Todesopfer. Heute sind wir an einem Punkt, wo das NSU Gedenken nahezu ausschließlich von der Zivilgesellschaft getragen wird. Von Seiten der Stadt gibt es bis auf wenige Ausnahmen fast kein Gedenken. Angesichts des Umstandes, dass die Betroffenen des NSU-Terrors und ihre Familien unerträgliche Schikanen von Seiten der Polizei und der Medien erfahren mussten, umso unverständlicher.
Dass Gruppen, die sich antirassistisch engagieren, Gedenkveranstaltungen durchführen, Gedenktafeln an den Tatorten anbringen oder eben mit dem Straßenfest ein Zeichen für Miteinander setzen, ist ein wichtiges Zeichen, zeigt jedoch auch die mangelnde Tätigkeit von Seiten der Stadt auf.
Der Titel des Straßenfestes formuliert zwei Facetten. Einerseits erfolgt eine klare Positionierung wogegen wir stehen – gegen Rassismus und Diskriminierung in jeglicher Form. Andererseits wird aber auch verkürzt beschrieben, wofür wir eintreten: für ein besseres Zusammenleben. Da lt. Polizeibericht im Jahr 2019 in Nürnberg die rechte Gewalt um 39,3 % gestiegen ist, wird deutlich, wie wichtig und notwendig diese Positionierung ist.
Leider konnte das Straßenfest in diesem Jahr nicht real am Aufseßplatz stattfinden, es gab lediglich eine Online-Version mit zahlreichen Wortbeiträgen und klaren Positionierungen. Auch der neue Oberbürgermeister Marcus König sendete eine deutliche Grußbotschaft: „Wir gedenken auch an die NSU-Mordserie und die Opfer. Gleichzeitig wird eine starke Botschaft für ein besseres Zusammenleben gesendet.“ Etwas später folgen die Sätze: „Wir haben einen Auftrag. Wir sind in der Stadt des Friedens und der Menschenrechte und jeder von uns muss jeden Tag gegen Rassismus und Diskriminierung einstehen.“ Diesen Sätzen müssen nun auch Taten folgen.
Das Gedenken darf nicht nur Aufgabe von zivilen Akteur*innen sein, sondern auch die Stadt Nürnberg, als Stadt der Menschenrechte und des Friedens, muss die Verantwortung für das Gedenken an die Opfer der Verbrechen, die hier passiert sind, übernehmen. In Zeiten des immer stärker werdenden rechten Terrors und wachsenden Hasses und stärker werdender Hetze muss ein starkes Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung gesendet werden. Dazu ist eine Verbreiterung in der Stadtgesellschaft notwendig, bei der auch die Stadt Nürnberg eine entscheidende und tragende Rolle spielen muss.
Deshalb haben wir folgende Forderungen:
- Offizielle Beteiligung und Unterstützung der Stadt Nürnberg am Straßenfest gegen Rassismus und Diskriminierung
- Gedenktafeln/Mahnmale an den Tatorten der Nürnberger NSU-Opfer
- Die Stadt Nürnberg muss sich an den zivilen Gedenkveranstaltungen an den Todestagen der drei Nürnberger NSU-Opfer sowie am Tag des Anschlags auf die Gaststätte Sonnenschein unterstützend beteiligen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Veranstaltungen bleibt bei den zivilen Gruppen.
- Straßenumbenennung in die Namen der Nürnberger NSU-Opfer:
Liegnitzer Straße à Enver-Şimşek-Straße
Siemensstraße oder Gyulaer Straße à Abdurrahim-Özüdoǧru-Straße
Scharrerstraße à Ismail-Yaşar-Straße - Umbenennung der Scharrerschule → Ismail Yaşar Grund- und Mittelschule
- Die Stadt Nürnberg muss ihren Einfluss geltend machen und sich für einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen
Gerne sind wir bereit, die einzelnen Punkte inhaltlich zu begleiten und stehen ebenso selbstverständlich für Gespräche bereit.
Insgesamt haben 26 Organisationen, Parteien, Vereine etc. diese Forderungen unterzeichnet.